23. AugustÝ2004, 02:11,ÝNeue Zürcher Zeitung
Klare Grundsätze - unklare Auswirkungen
Neue Ansätze bei der Restitution von Kunstwerken der NS-Zeit
Für Schlagzeilen sorgen derzeit Verfahren vor US-amerikanischen
Gerichten
gegen mehrere europäische Staaten auf Herausgabe von Kunstwerken
aus der
NS-Zeit. Allerdings sind auch im Erfolgsfalle diese Urteile in Europa
juristisch kaum durchsetzbar.
«Der Bloch-Bauer-Fall und ähnliche Fälle könnten
leicht gelöst werden, wenn
Österreich sich einem neutralen Schiedsgericht unterwerfen würde.»
Mit
diesen Worten begründete der Anwalt von Frau Altmann den Schritt
seiner
Mandantin, nicht in Österreich, sondern in den USA den österreichischen
Staat auf Herausgabe von sechs Klimt-Gemälden aus dem Wiener Schloss
Belvedere zu verklagen. Ebenfalls in den USA wurde Deutschland im Juni
dieses Jahres auf Herausgabe von Kunstwerken von der Association Of
Holocaust Victims For Restitution Of Artwork And Masterpieces (AHVRAM)
verklagt. Ein Rechtsanwalt dieser Vereinigung hat weitere Verfahren
gegen
Frankreich angekündigt.
Steine oder Brot?
Können nunmehr ehemalige Eigentümer von Kunstwerken, die ihnen
während des
Nationalsozialismus entzogen wurden, ihre Ansprüche gerichtlich
in den USA
geltend machen, ohne sich wie bisher auf langwierige Verhandlungen
mit dem
Staat einlassen zu müssen, in dem sich die Kunstwerke heute befinden?
Sind
damit die Washingtoner Prinzipien am Ende, in denen sich 1998 44 Staaten,
darunter die USA, Deutschland, Frankreich und Österreich, rechtlich
nicht
bindend verpflichtet haben, eine gütliche Einigung in diesen Fällen
anzustreben? Im Fall Altmann jedenfalls hat der amerikanische Supreme
Court
Anfang Juni dieses Jahres entschieden, dass dem Verfahren vor amerikanischen
Gerichten jedenfalls nicht eine völkerrechtliche Immunität
des
österreichischen Staates entgegenstehe. Mehr wurde bisher nicht
entschieden.
Aller medialen Aufregung zum Trotz entspricht diese Entscheidung durchaus
auch europäischem Rechtsverständnis. Denn nach heute allgemein
anerkannter
Auffassung geniesst der in einem anderen Staat verklagte ausländische
Staat
nämlich nur insoweit begrenzte Immunität, als hoheitliches
Handeln in Rede
steht. Hoheitlich handelt der Staat in Restitutionsfällen in der
Regel
nicht.
Dennoch könnten der Klägerin mit der Entscheidung des Supreme
Court Steine
statt Brot gegeben worden sein. Denn die Souveränitäts- und
damit die
Immunitätsfrage holen sie auch im Falle eines obsiegenden Urteils
nochmals
ein. Dann nämlich, wenn die Klägerin es in Österreich
vollstrecken will.
Denn die originären Wirkungen des Urteils sind auf das Hoheitsgebiet
des
Gerichtsstaates beschränkt. Um diese territorialen Beschränkungen
zu
überwinden, muss das Urteil vom verurteilten Staat in einem besonderen
Verfahren anerkannt werden, damit es vollstreckbar wird. In Deutschland
und
Österreich spielt dabei das Gegenseitigkeitsprinzip eine grosse
Rolle, das
heisst, ob der US-amerikanische Staat etwa ein Urteil gegen sich gelten
lassen würde, das ein österreichischer Staatsbürger
in einem vergleichbaren
Fall vor einem deutschen oder österreichischen Gericht gegen ihn
erwirken
würde.
Diese Gegenseitigkeitserwägungen liegen letztlich den Regelungen
des
Paragraphen 328 AbsatzÝ1 Nr.Ý1 der deutschen Zivilprozessordnung und
des
Paragraphen 79 Absatz 2 der österreichischen Exekutionsordnung
zugrunde. Zu
prüfen ist danach - und hier zu verneinen -, ob bei einer Restitutionsklage
in Deutschland oder Österreich gegen die USA die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben wäre. Der römisch-rechtlichen
Maxime folgend liegt der allgemeine Gerichtsstand in beiden Ländern
wie auch
in Frankreich am Sitz des Beklagten. Abweichende Zuständigkeitsvorschriften,
so etwa der Erfüllungsort, sind nicht einschlägig und verweisen
überdies
nicht in die USA. Zwar gilt in Frankreich ähnlich wie in den USA
ein
ausländisches Gericht als zuständig, wenn sich der Rechtsstreit
in
ausreichender Weise an das Land, dessen Gericht geurteilt hat, binden
lässt.
Jedoch gilt diese Regelung nicht bei ausschliesslichen
Zuständigkeitsvorschriften, wie der Wohnsitzregel für Herausgabeklagen.
Gegenseitigkeitserwägungen spielen im französischen Recht
keine Rolle,
vielmehr stellt es auf eine Übereinstimmung mit dem französischen
Ordre
public ab. Einer Vollstreckung könnte danach das grundlegende
Rechtsprinzip
entgegenstehen, dass Personen des öffentlichen Rechts keiner
privatrechtlichen Zwangsvollstreckungsmassnahme unterliegen dürfen.
Deshalb
könnten die staatlichen Museen eine Herausgabe an den Gläubiger
selbst dann
noch verweigern, wenn ein Urteil für vollstreckbar erklärt
würde. Somit ist
die von den Restitutionsklägern erhoffte schnelle Lösung
ihrer Fälle
zumindest auf juristischem Wege über die USA nicht zu erwarten.
Die
Erfahrung der letzten Jahre zeigt zudem, dass sowohl in Österreich
als auch
in Deutschland und Frankreich vorwiegend aussergerichtliche, aber auch
gerichtliche Verfahren erfolgreich zu einer Rückerstattung von
Kunstgegenständen führen können, in der Mehrzahl durch
einen Vergleich.
Juristische Ausstrahlung
Die Vereinbarung der Washingtoner Prinzipien erfolgte gerade im Wissen
um
die zahllosen juristischen Differenzen, die einer erfolgreichen
gerichtlichen Durchsetzung und Vollstreckung dieser Ansprüche
aufgrund der
verschiedenen Rechtsordnungen entgegenstehen. Dass eine un- verbindliche
Vereinbarung, deshalb auch gern als «soft law» bezeichnet,
harte juristische
Konsequenzen nach sich ziehen kann, zeigte sich in Deutschland. Dort
verpflichteten sich die Bundesregierung, die Bundesländer und
die kommunalen
Spitzenverbände in der «Berliner Erklärung» vom
14.ÝDezember 1999 rechtlich
verbindlich, in Restitutionsverfahren, die Kunstwerke betreffen, nicht
die
Verjährung der Ansprüche geltend zu machen.
Selbstverständlich können aber auch Gerichtsverfahren geboten
und
erfolgreich sein. Dies zeigt beispielsweise der Fall Gentilli di Guiseppe
vor dem Pariser Berufungsgericht, in dem der Louvre zur Herausgabe
mehrerer
Gemälde an die Kläger verpflichtet wurde. Doch hatten die
Eigentümer im
Belegenheitsstaat der Kunstgegenstände geklagt. Ihnen blieb dadurch
das
Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren buchstäblich erspart.
Die
Gerichtskosten sind in Frankreich ohnehin im Unterschied zu Deutschland
und
Österreich erstinstanzlich vernachlässigbar gering. So ist
jedenfalls
derzeit die juristische Ausstrahlung der rechtlich nicht bindenden
Grundsätze von Washington weitaus grösser als die Rechtskraft
der zu
erwartenden Urteile aus Washington und Los Angeles.
Claudia von Selle